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"Ostwind – zusammen sind wir frei"



Ostwinds "Urgroßmutter"


Die Hessenstute Halla (1945–1979) war mit Hans Günter Winkler im Sattel vielfache Gewinnerin im Springreiten und dreimal Olympiasiegerin (Quelle: Wikipedia). Darüber dass sie ein störrischer Wildfang von außergewöhnlicher Intelligenz war und dass Winkler sie irre und genial nannte, hält das Internet viele Berichte bereit. Winkler war nach allen ihren gescheiterten Reitern der erste, den Halla akzeptierte, er hatte den Druck weggenommen. 

Bei der Olympiade 1956 hatte Winkler sich im ersten Umlauf eine Leistenverletzung zugezogen. Unter drastischen Schmerzdrogen bugsierte man ihn trotzdem wieder aufs Pferd, aber bei den Sprüngen versagten die Mittel. So habe dann Halla ihren schwer verletzten und halb ohnmächtigen Reiter selbstständig zum Olympiasieg getragen. So lautete es seinerzeit in den Medien, und so bekommt es auch Mika von ihrer Oma erzählt. Etwas weniger pathetisch: "Ein Weltklasse-Mann ritt unter großen Schmerzen und unter Aufbietung letzter Willenskräfte ein Weltklasse-Pferd fehlerfrei ins Ziel." So formulierte es Horst Stern in seiner kritischen Betrachtung des Springsports [Stern77], und welcher Name stünde plakativer für die Wertschätzung der Kreatur als seiner! Im Film wird diese Thematik neben Mika auch durch den alten Trainer und seine Opposition zu Frau Kaltenbach angerissen.


Aufnahmekulisse


Neben dem Reinhardswald wurde Ostwind zu kleineren Teilen auch in Frankfurt und an der Nordsee aufgenommen. Die Titelszene und weitere Aufnahmen entstanden im westlichen Vorland des Reinhardswaldes auf den Helfensteinen, wo sich über Almwiesen hinweg freie Ausblicke bieten. 

Auf den Almen wird Vieh gesömmert, welches im Film aber vielleicht eher gestört hätte. Jedenfalls hätten die betreffenden horn-amputierten Rinder kaum zu einem Film über Freiheit und Ursprünglichkeit gepasst.


Blick von den Helfensteinen zum Kleinen Dörnberg

Blick von den Helfensteinen zum Kleinen Dörnberg

Almwiese unter den Helfensteinen

Almwiese unter den Helfensteinen mit vorwiegend hornamputierten Rindern  

Almvieh unter den Helfensteinen

Almvieh unter den Helfensteinen

Einsetzendes Alpenglühen auf den Helfensteinen

Titel-, Triumph- und Schlussszene entstanden auf der von hier gesehen rechten Kuppe.

Im Film mehrfach gezeigte Gruppe der Helfensteine


Von der Gegend um "Kaltenbach" gesehen liegen die Helfensteine auf dem zehn Kilometer fernen Südwest-Horizont, hier rechts der Bildmitte:

"Kaltenbacher" Horizont mit Hohem Dörnberg, Helfensteinen und Kleinem Dörnberg


Zwischen diesem Fotostandort und dem Horizont liegen auch der fiktive Bahn-Haltepunkt "Holzhausen", an dem Mika ankommt, und der Bergsee, ebenso wie der Feldrain, an dem Reiterin und Pferd erschöpft aufeinander liegen und wo die Filmkamera im Kreis über eine freie, unverbaute Landschaft schwenken konnte.

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Ostwind ist trotz seiner verschiedenen Anspruchshaltungen kein ganz allgemeingültiger Spielfilm, sondern er ist sehr konkret auf Hessen bezogen. Dies beginnt schon mit Halla, der historisch realen Hessenstute, und setzt sich über den Wohnort Frankfurt der Familie Schwarz fort bis hin zu dem hessischen Landestrainer für Springsport. Auf die Verortung Frankfurt/Main weisen auch die Autokennzeichen der Familie Schwarz und des Lehrers hin. Auch der angekokelte Abriss von Mikas Schulzeugnis befindet sich in einem Beweistütchen des HLKA, des Hessischen Landeskrimialamts.

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Dagegen spielt die Film-Haupthandlung in der hessischen "Pampa", für die der Reinhardswald mit seiner Umgebung eine ideale Kulisse hergab. Aber sollte er nur Kulisse sein, oder soll auch die Handlung wirklich konkret hier spielen?

Anders als für Frankfurt gibt der Film darauf keine ausdrückliche Antwort. Eine kompromisshafte Deutung wäre, den Reinhardswald für die ganze nordhessische "Pampa" bzw. Hessisch-Sibirien symbolisch zu sehen, wobei aber Frankfurt bzw. Rhein-Main namentlich als Ballungsraum konkret gegenübergestellt bleibt.

Diese Ansicht wäre wahrscheinlich dann zutreffend, wenn die Frankfurter Ortsbewegungen im Film realistisch wären, im Gegensatz zu denen im Reinhardswald. Realistisch sind sie jedoch weder dort noch da, denn:

Die Frankfurter Handlung beginnt mit der U-Bahn-Fahrt der Freundinnen zur Schule. Sie steigen an einer anonymen Haltestelle aus (real wohl Seckbacher Landstraße), doch der anschließende Schulweg ist rätselhaft. Fragwürdig wirkt später auch Mikas Abreise mit dem Zug zu ihrer Großmutter. Sie beginnt real nicht in Frankfurt, sondern führt zunächst vom Hanauer Hauptbahnhof über die Steinheimer Brücke Richtung Frankfurt. Das wird vielleicht manchen Frankfurter Schülern, und unter ihnen besonders den pferdebegeisterten Quartanerinnen, nicht auffallen, weil sie noch immer durch die Frage abgelenkt sind, welches nun eigentlich Mikas Gymnasium war. Dass dieses in Frankfurt nicht wirklich existiert, ist sicher schade. Andererseits darf es das aber auch nicht, da sonst Mikas fiktive Existenz gegen die widersprechende Realität prallt. Filmtechnisch hätte daher Mikas Schule weder aus Frankfurt, noch aus Nordhessen wiederzuerkennen sein sollen. Da aber zweites nicht beherzigt wurde, werden dann auch viele Kasseler Schüler erst einmal stolpern, denn sie erkennen plötzlich ihr eigenes Gymnasium "in Frankfurt" wieder.

Mikas ICE-Reise mit Umstieg in eine Regiotram des Nordhessischen Verkehrsverbundes und Ankunft am fiktiven Haltepunkt "Holzhausen" wird durch einen geschickten Filmschnitt realisiert. Dies ist aber unbedeutend, bzw. es fällt allenfalls regionalen Zuschauern auf. Real existiert der Haltepunkt nicht. Sein Name Holzhausen ist vielleicht eine Anspielung auf das zehn Kilometer entfernte Holzhausen/Reinhardswald, nahe dem das Gut Waitzrodt liegt (="Gut Kaltenbach"). Auf dem Gut verkehrende Autos tragen mehrheitlich das für den Reinhardswald gültige Kasseler Kennzeichen KS. Daneben sind im Film auch Kennzeichen der Nachbarkreise zu erkennen.

Neben den konkreten Autokennzeichen wurden auch bekannte, "verräterische" Reinhardswälder Objekte nicht gelöscht, wie zum Beispiel dieses markante Namensschild (größer zu sehen unter Menü Magischer Wald/ Farbenkasten), an dem Mika auf ihrer Flucht an die See vorbeireitet.

Wahrscheinlich ist aber die oben gestellte Frage auch mit all dieser Erbsenzählerei nicht zu beantworten. Und widersprüchliche Indizien, wie Kaltenbachs Postleitzahl 33321, die eine ostwestfälische wäre, sind vielleicht ein Wink, auf weiteres Nachgraben zu verzichten. Aber als Seite über den Reinhardswald hat diese das ja zumindest versuchen müssen und hat die Lösung vielleicht trotzdem übersehen. 

Mit der gewählten Kulisse ist es dem Film jedenfalls gelungen, vom Aussterben bedrohte Landschaftsformen und landschaftliche Freiheit zu zeigen, zum Beispiel organisch umfriedete Weidekoppeln oder schmetterlings-umschwirrte Säume, die traditionell das Offenland prägten, als noch nicht der sterile Rechte Winkel und die seelenlose gerade Linie vorherrschten. Auch sonst lässt uns der Film landschaftliche Ruhe genießen. Nach 100 Minuten ist er dann allerdings zu Ende...

Viele zentrale Szenen in Ostwind-1 wurden auf Beberbeck gedreht. Informationen über diesen speziellen Ort enthält die Seite "Henners Traum" in ihrem letzten Abschnitt.








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